B2-C1 Deutschlerner Interview Ukraine

März 25, 2015

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B2/C1 Länderdossier Interview Volume 2

Ein Ukrainer (B2) in Stuttgart

Diesen Monat: Interview mit Dmitry, der schon seit geraumer Zeit bei German Online Institute lernt. Damals lebte er noch in Kiev, aber wir wollen hier noch nicht vorgreifen (tell to early)…

Nina:
Verrate uns doch bitte, wieviele Jahre du schon Deutsch lernst und auf wieviele Wochenstunde sich dein Lernumfang beläuft (add up to)?

Dmitry:
Ich lerne Deutsch seit fast drei Jahren. Zwei Jahre habe ich im Goethe-Institut Kiew gelernt. Von Anfang an. Ich hatte keine deutschen Vorkenntnisse. Zwei Jahre dort mit etwa 4,5 Stunden pro Woche. Ich habe zusammen mit meiner Frau gelernt. Deswegen hatten wir noch mehr Themen zur Unterhaltung. Seit Sommer 2012 lerne ich mit German Online Institut. Ich habe normalerweise 1 Stunde pro Woche und 2 vor den Deutschprüfungen. Wieviel Stunden insgesamt? Eine gute Frage für ein Google Vorstellungsgespräch. Ich versuche das zu rechnen: 2 Jahre in GOI 2×52 + 6 Trimester in Goethe-Institut 6×68 = 512 Stunden.

Nina:
Erzähle doch bitte, welche anfänglichen Beweggründe (reasons) du hattest, Deutsch zu lernen? Hattest du damals schon mit einer eventuellen Auswanderung nach Deutschland gerechnet?

Dmitry: Ich bin früher viel mit meiner Frau gereist. Wir waren oft in Deutschland. Das Land hatte uns gefallen. Aber man kann ohne Sprache nicht viel tun. Gleichzeitig habe ich gedacht, dass es schön wäre, noch ein Hobby außerhalb der Arbeit zu haben, wo ich und meine Frau uns zusammen beschäftigen können. Deutschlernen hatte damals perfekt gepasst.

Nina:
Lernen viele Ukrainer Deutsch? Wenn ja, was denkst du, woran das liegen (what is the cause) könnte?

Dmitry:
Nein. Man lernt normalerweise in der Schule und in der Uni Englisch. Englisch wird in den 95% Fällen gelehrt. Englisch steht in den Anforderungen der Arbeitgeber. Es ist wirklich lingua franca unserer Zeit. Deutsch braucht man relativ selten in der Ukraine, deshalb ist die Nachfrage auch nicht sehr hoch.

Nina:
Worin siehst du die größte Herausforderung (challenge) diese Sprache zu erlernen und letztendlich auch zu meistern? Und was gefällt dir besonders daran?

Dmitry:
Das kann sich seltsam anhören, aber mir gefallen die vielen Ähnlichkeiten zwischen dem Deutschen und dem Russischen, die Suffixe und die Wortbildung. Für mich ist Russisch näher zu Deutsch als zu Englisch. Deutsch ist auch eine sehr reiche Sprache. Es gibt viele Möglichkeiten sich auszudrücken. Hier verstecken sich die Vorteile für die, die Deutsch sprechen können und Nachteile für die Deutschlerner. Als Herausforderungen sehe ich die Artikel und die Wortfolge im Satz. Ich muss immer beim Gespräch darauf achten.

Nina:
Wenn du anderen Deutschlernern einen Lerntipp geben könntest, was wäre dieser? Dmitry: Wenn man das Feuer bekommen möchtet, dann muss er den Stock sehr schnell reiben. Sogar ein Jahr langsam zu reiben bringt nichts. Genauso mit dem Sprachlernen. Möchtet ihr wirklich den Fortschritt haben, dann macht ein Intensivtraining. Das ist gar nicht einfach, aber die Ernte wird süß sein.

Nina:
Du hast dich letztendlich dazu entschlossen nach Deutschland zu gehen. Als wie schwierig hast du den Bewerbungs-und Einwanderungsprozess empfunden? Kannst du die allgemeinen Schritte kurz erläutern?

Dmitry:
Es ist relativ einfach nach Deutschland umzuziehen, wenn ihr im technischen Bereich arbeiten möchtet. Mit der sogenannten Blauen Karte muss man nur den Arbeitsvertrag und das Unidiplom haben. Der Arbeitgeber muss gar nichts zu tun. In der Ukraine kann man in meiner Branche (IT) innerhalb einer Woche Arbeit finden . Das dauert hier in Deutschland viel länger. Von der ersten geschickten Bewerbung bis Arbeitsvertrag waren es 9 Monate. Genug Zeit um unser Baby zu bekommen! Aber ich hatte damals einen Job in Kiew und konnte mich nicht beeilen. Ich habe selektiv die Bewerbungen geschickt. Also keine Spam-Attacke. Pro etwa dreißig geschickte CVs ein positives Ergebnis. Die Vorstellungsgespräche waren nur auf Deutsch. Am Anfang war das anstrengend, aber danach viel einfacher. Manchmal habe ich Absagen wegen ungenügender Deutschkenntnisse bekommen.

Nina:
Du bist erstmal allein nach Stuttgart gegangen und deine Familie kommt nach. Was waren die größten Herausforderungen sich allein in Deutschland niederzulassen und einzuleben.

Dmitry:
Viele kleine Sachen mussten erledigt werden. Anmeldung, Bankkonto offen, Führerschein bekommen, Kollegen kennenlernen, eine Wohnung suchen, usw. Aber die größte Herausforderung für mich ist, dass meine Familie in der Ukraine ist und ich bin hier. Ich vermisse sie und deshalb fliege einmal pro Monat nach Kiew, um sie zu sehen.

Nina:
Was sind, deiner Meinung nach, die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten
zwischen Deutschen und Ukrainern?

Dmitry:
Aus meiner Sicht, sind meine deutschen Kollegen extrem fleißig. Sie kommen ins Büro und fangen sofort an zu arbeiten und arbeiten bis zum Abend. Ich will nicht sagen, dass die Ukrainer faul sind, aber unser Tempo ist langsamer. Zu der Gemeinsamkeiten: wir sind alle Menschen. Und wir haben, trotz verschiedener Sprachen-,Religionen und Kulturunterschiede, dieselben Wünsche, Befürchtungen und gemeinsame Werte im Innersten. Unterschiede sehen ist einfach, Gemeinsamkeiten sehen ist schwieriger.

Nina:
Was vermisst du am Meisten an der Ukraine und wirst du irgendwann zurückkehren?

Dmitry:
Trotz alle Unruhe und vielleicht nicht so guter Lebensqualität wie in Deutschland ist Kiew mein Zuhause. Meine Großfamilie wohnt da, und bleibt dort für immer. Je weiter von Zuhause ihr seid, desto stärker fühlt ihr, was diese Wurzeln bedeuten. Jetzt bin ich 30, ich habe 5 Jahre berufliche Erfahrung und (noch) keine Kinder. Das ist für mich eine ideale Zeit um etwas Neues zu probieren, um im Ausland zu arbeiten. Aber für immer hier bleiben? Ich bin nicht so sicher. Jede Entscheidung hat Vor- und Nachteile. Die Vorteile in Deutschland zu bleiben sind vielleicht bekannt. Die Nachteile für mich sind: das ganzen Leben ein Ausländer zu sein, keine Karriere Entwicklung, und meine Eltern, die in Kiew bleiben. Glücklich sein hat wenig mit dem Standort zu tun. Und in unsere modernen Zeit der Globalisierung kann man gut (zumindest in der IT Branche) von fast überall aus verdienen. Also die Frage bleibt noch offen.

Nina:
Bitte teile dein einschneidendstes Erlebnis in Deutschland (lustig, traurig, kurios, dramatisch…?)


Dmitry:
Als meiner Mutte (sie spricht nur auf Russisch und Ukrainisch) mich in Stuttgart besuchen wollte, habe ich ihr im Detail erzählt, wie sie zu meinem Haus kommen kann. Schritt für Schritt. Der Flughafen, der Zoll, das Taxi, der erste Zug, umsteigen in Ulm, der zweite Zug, der Bus. Ich habe viele Zettel mit Phrasen geschrieben, die sie lesen oder zeigen kann. Und als sie nach Stuttgart gekommen ist, hat sie mir gesagt, dass alle meine Zettel und Erklärungen nutzlos waren. Sie hat überall russisch-sprachige Leute getroffen, die ihr helfen konnten. Sogar der Bus Fahrer hat mit ihr auf Russisch gesprochen. Danach waren wir zusammen in Baden-Baden. Der einzige Ort in Baden-Baden wo man Russisch nicht hören kann ist vermutlich das Friedrichsbad. Der Grund: diese Spa-Anlage ist vollständig textilfrei :-).

Nina:
Recht herzlichen Dank für das informative Gespräch.

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